Altersmässig bin ich inzwischen deutlich näher bei 40 als bei 30 und doch habe ich das Gefühl, mich erst seit wenigen Jahren so richtig kennenzulernen und immer noch neue Seiten, Ecken und Kanten – oder eben meine Besonderheiten – an mir zu entdecken und mich besser zu verstehen. Und manchmal frage ich mich wirklich, wie ich bis jetzt durchs Leben gekommen bin. 😀
Doch was bedeutet es eigentlich, sich selbst zu kennen? Eine gute Antwort auf die Frage “Wer bist du” zu haben? Zu wissen, was man mag? Zu wissen, was man nicht mag? Zu wissen, was man kann oder eben nicht?
Wie gut kennst du dich selbst?
Sich selbst kennen (lernen)
Wer andere kennt, ist klug. Wer sich selber kennt, ist erleuchtet.“
Laotse
Bis zur Erleuchtung dauert es sicher noch etwas ;-), aber trotzdem finde ich das Zitat sehr treffend. Es unterstreicht meine Meinung, dass es so wichtig ist, sich selbst zu kennen.
Denn nur wenn ich mich kenne, kann ich mich weiterentwickeln und in neuen oder auch in sich wiederholenden Situationen und in Herausforderungen adäquat reagieren. Es gibt für mich verschiedene Ebenen, auf denen ich mich kennen (lernen) kann: Werte, Bedürfnisse, Grenzen, Ziele und Wünsche.
Eigene Werte
Über die Wichtigkeit von Werten und vor allem davon, die eigenen Werte zu kennen, werde ich in einem separaten Blogbeitrag noch tiefer beleuchten.
Für mich war das ein ziemlicher Gamechanger Anfang 2022, als ich mich intensiver mit dem Thema Werte und mit meinen Werten auseinandergesetzt habe. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich damit beschäftigte, doch konnte ich bis zu diesem Punkt meine Werte nicht konkret benennen. Sicherlich gibt es auch jetzt noch Veränderungen in meinen Werten. Und doch helfen mir die drei Haupt-Werte (Authentizität, Respekt und Offenheit) und die dazugehörigen Werte (Nachhaltigkeit, Ehrlichkeit, Flexibilität, Freiheit, Unabhängigkeit, Empathie, Gerechtigkeit, Freundlichkeit, Gelassenheit, Neugier, Freude, Enthusiasmus und Dankbarkeit), die ich im Januar 2022 mit Wiebke ausarbeitete, in meinem Alltag, privat wie beruflich. Sie sind eine Orientierungshilfe, wenn es um Entscheidungen geht. Und sie können dabei helfen, Konflikte und deren Ursache zu analysieren und zu verstehen.
Kennst du deine Werte? Und wie lebst du diese Werte? Nach innen genauso wie nach aussen?
Der erste Schritt ist es, sich seiner Werte einmal bewusst zu werden. Und dann geht es darum, zu schauen, wie ein Leben mit diesen Werten aussieht oder aussehen soll.
Nehmen wir den Job als Beispiel: Welche Werte sind dir bei einem Unternehmen wichtig? Wie merkst du, dass ein Unternehmen die eigenen Werte auch lebt? Stimmen deine Werte und die Werte des Unternehmens überein? Welche Werte sind dir in der Zusammenarbeit mit Vorgesetzten und mit Teamkollegen wichtig? Was trägst du dazu bei, dass die Werte des Unternehmens gelebt werden? Wie gehst du damit um, wenn Werte verletzt werden – egal ob von einzelnen, vom ganzen Team, vom Unternehmen, von dir, dir gegenüber, anderen gegenüber?
Diese Fragen und die gesamte Beschäftigung mit dem Thema Werte kann dir sehr viel Klarheit darüber bringen, warum etwas so ist, wie es ist, und auch darüber, was du möchtest und wohin es auf deinem beruflichen Weg gehen soll. Bleibst du in deinem jetzigen Job oder ist eine berufliche Neuorientierung angesagt? Auch gerade bei der Suche nach einem neuen Job können die Werte viel Unterstützung bieten. Wichtig ist nur, dass du deine Werte und damit auch dich gut kennst. 😉
Eigene Bedürfnisse
Was brauchst du,
– damit es dir gut geht?
– damit du dich sicher fühlst?
– damit du so sein kannst, wie du bist?
– damit du erfüllt bist in deiner Arbeit?
Alles wichtige Fragen, auf die nur du dir eine Antwort geben kannst. Denn niemand kann wissen, was du brauchst. Und je nachdem, wie dein Leben bis heute verlief, unabhängig von deinem Alter, kann es sein, dass du sehr oft an deinen Bedürfnissen vorbeigelebt hast. Bei mir war das definitiv so.
Wenn ich von meiner heutigen Perspektive auf mein Berufsleben zurückblicke, habe ich jahrelang in Jobs gearbeitet, die nicht mir und meinen Bedürfnissen entsprachen. Ich bin jemand, die viel Zeit für sich, viel Freiraum, Selbstbestimmung und auch Erholung braucht. Ich brauche auch eine gewisse Ruhe, um mich herum, um in mir Ruhe zu finden. Aber ich brauche auch Herausforderung und Abwechslung, sonst wird mir schnell langweilig. Die Balance zu finden zwischen Ruhe, Rückzug, Abwechslung und Herausforderung – das ist eine tägliche Aufgabe. Doch weil ich mich und meine Bedürfnisse inzwischen besser kenne, kann ich auch situativ besser auf mich achten und dann gezielt das suchen, was ich brauche. Gerade für Hochsensible ist es wichtig, sich mit den eigenen Bedürfnissen zu beschäftigen, Klarheit zu haben und das Leben entsprechend zu leben.
Wenn bspw. der Job für Abwechslung und Herausforderung sorgt, brauche ich dies nicht auch noch im Privatleben. Und umgekehrt: Wenn privat gerade viel läuft, ist ein Job mit mehr Routine-Aufgaben und wenig Neuem genau richtig. Selbstverständlich kann der Job nicht von Tag zu Tag, abhängig nach dem aktuell dominierenden Bedürfnis, gewechselt oder angepasst werden. Aber dann ist es wichtig, für sich einen Ausgleich zu suchen mit der Frage: Was brauche ich gerade?
Das Thema Bedürfnisse ist auch gerade bei einem Jobwechsel oder sogar bei einer kompletten beruflichen Neuorientierung sehr wichtig: Passt ein Grossraumbüro zu deinen Bedürfnissen? Bist du jemand, die gerne im Homeoffice arbeiten möchte? Arbeitest du gerne alleine oder ist dir die Arbeit im Team sehr wichtig? Wie viel Freiheit möchtest du oder wie viel Vorgaben brauchst du, um deine Arbeit gut zu machen?
Du siehst, auch auf der Ebene der Bedürfnisse ist es wichtig, dass du dich kennst, um auf dieser Basis die richtigen Entscheidungen für dich zu treffen.
Eigene Grenzen
Abgrenzung – wieder ein grosses Thema. Und auch hier bin ich überzeugt, dass es wichtig ist, seine eigenen Grenzen zu kennen und auch zu kommunizieren und dazu zu stehen. Denn wenn du deine Grenzen nicht kennst, wie soll jemand anders diese dann respektieren?
Die eigenen Grenzen zu kommunizieren, für sich einzustehen, bedingt, die eigenen Bedürfnisse zu kennen. Wenn ich weiss, was ich brauche, weiss ich auch, was ich nicht brauche und was ich vielleicht gerade im Moment oder generell nicht leisten oder machen kann. Und erst wenn die Klarheit da ist, wo meine Grenzen verlaufen, kann ich diese auch wertschätzend durchsetzen und kommunizieren.
Viele haben Angst, Grenzen zu setzen – ich will doch niemanden ausschliessen. Doch in der Regel sind die Grenzen das Problem, sondern wie diese kommuniziert werden. Wenn du deine Grenzen kennst, diese klar kommunizierst, in einer neutralen Situation, kann das sogar zu mehr Verbundenheit führen. Doch wenn du deine Grenzen nicht kennst, diese regelmässig nicht respektiert werden (sowohl von dir als auch von anderen), ist irgendwann das Fass gefüllt und der nächste Tropfen bringt es zum Überlaufen. Und in diesem Zustand ist eine wertschätzende Kommunikation meistens nicht mehr vorhanden. 😉
Auch bei den eigenen Grenzen ist es wichtig, nicht nur nach aussen zu schauen: Respektierst du deine eigenen Grenzen? Oder übertrittst du diese regelmässig, um für andere da zu sein, um andere zufrieden zu machen, um im Job gut zu wirken? Was denkst du über Grenzen? Warum möchtest du Grenzen setzen? Warum respektierst du deine eigenen Grenzen nicht? Es ist auch wichtig, in sich Grenzen zu setzen: dem inneren Kritiker, dem fürsorglichen Anteil in uns, dem unsicheren Anteil in uns, aber vielleicht auch einmal dem enthusiastischen Anteil in uns.
Eigene Ziele
Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg.”
Laotse
Hast du Ziele im Leben? Grosse, kleine, riesige? Oder lässt du dich mehr vom Leben treiben? Was ist deine Vision? Was möchtest du in x Jahren erreicht haben?
Aus Vorstellungsgesprächen ist die Frage “Wo sehen Sie sich in 5 Jahren?” sicherlich vielen bekannt. Für mich immer eine kaum beantwortbare Frage. Ich weiss doch noch nicht einmal, was ich in ein paar Monaten mache, wie soll ich dann wissen, was in 5 Jahren ist?!
Das Leben spielt sich im Hier und Jetzt ab. Und es ist wichtig, präsent zu sein, nicht in Gedanken in der Vergangenheit, in der Zukunft, beschäftigt mit Sorgen und bei allen anderen möglichen Themen. Nicht einfach, gerade nicht in unserer heutigen Gesellschaft, in der im Aussen so viel daran gesetzt wird, Ablenkung zu schaffen. Und manchmal ist es ja auch viel einfacher, auf Netflix, Instagram, Facebook etc. Zeit zu verbringen, als sich mit sich auseinander setzen zu müssen, oder? 😉
Und doch ist es kein Widerspruch zum Leben im Hier und Jetzt, Ziele und Visionen zu haben. Denn nur so kann ich mich immer wieder ausrichten an meiner Vision.
Für mich persönlich ist es noch neu, mir wirklich ein Ziel für ein Jahr zu setzen und eine Vision zu haben für die nächsten paar Jahre. Ich habe immer eher spontan gelebt, bspw. Ferien nie allzu gross im Voraus gebucht. Denn woher weiss ich jetzt schon, was ich im Sommer dann machen möchte? Genau dieses Spontan-Sein, diese Freiheit und Flexibilität sind mir auch weiterhin wichtig. Und trotzdem entwickle ich mir gerade meine Vision, wo ich in ein paar Jahre sein möchte, was ich an meinem 40. Geburtstag erreicht haben möchte. Nachdem ich gespürt habe, dass mir mehr Orientierung und Ausblick gut tun würde, erlaube ich mir nun, gross zu träumen. Ich bin gespannt, wohin mich das führen wird, wenn ich meine Vision und überhaupt das Gross-Träumen integriert und genährt habe (SEIN-Modell). 🙂 Denn ein Ziel oder eine Vision heisst ja nicht, dass ich nicht weiterhin spontan auf das Leben reagieren kann. Das Ziel kann sich natürlich auch verändern. Und trotzdem gibt es mir eine Ausrichtung, einen Fokus. Und ich kann gerade bei grossen Entscheidungen hinschauen und mich fragen: Geht es in die richtige Richtung?
Um zurück zu dieser Frage aus dem Vorstellungsgespräch zu kommen: Natürlich geht es nicht darum, detailliert zu wissen, was in 5 Jahren sein wird. Doch wohin soll die Entwicklung gehen? Welche Ambitionen sind vorhanden?
Es ist wichtig, zu wissen, wo du hin möchtest, gerade auch im Job. So kannst du entscheiden, ob es jetzt lohnenswert ist, in dieser Anstellung zu bleiben und eher die Umstände zu verändern (siehe hierzu auch mein Beitrag “Love it, change it or leave it”), oder ob eine Neuorientierung nötig ist. Und genau bei dieser Neuorientierung hilft es dir, Klarheit zu haben darüber, wo es mittel- bis langfristig hingehen soll.
Verbindendes Element: Klarheit
Vielleicht ist es dir aufgefallen: In jedem Abschnitt kam das Wort “Klarheit” vor. Denn Klarheit ist für mich das verbindende Element bei all diesen Ebenen, beim ganzen Thema des Sich-Kennens. Aus Klarheit kann so viel entstehen.
Klarheit über deine Werte, Klarheit über deine Bedürfnisse, Klarheit über deine Grenzen und Klarheit über deine Ziele sind eine gute Ausgangslage, um ein zufriedenes, erfülltes Leben zu führen, privat und beruflich. Denn um wirklich zufrieden zu sein im Beruf braucht es aus meiner Sicht eine Balance. Nicht allein die Arbeit kann dir all das geben, was du brauchst, und auch umgekehrt: Nur im Privaten glücklich zu sein ohne Zufriedenheit im Job macht ein ausgeglichenes Leben aus meiner Sicht schwierig.
Wie viel Klarheit hast du in deinem Leben?